09.02.2021
Rezension: Das Elend der Verschickungskinder – Kindererholungsheime als Orte der Gewalt, PsychosozialRöhl, Anja : Das Elend der Verschickungskinder – Kindererholungsheime als Orte der Gewalt, Psychosozial - Verlag, Gießen 2021
Da ich selbst – allerdings in der DDR – in den 60iger Jahren zwei Mal zur Kur geschickt wurde, interessierte mich die Publikation von Anja Röhl sehr. Das Wissen über traumatisches Erleben bei abrupter und vor allem für das Kind nicht einsehbarer Trennung war längst nicht so verbreitet wie heute.
Es bleibt zu klären, ob es sich um ein Massenphänomen handelte, ob Muster zu erkennen sind, welche Bedingungen Menschenrechtsverletzungen und Straftaten begünstigten und warum diese so lange ungeahndet blieben. Wer hatte ein Interesse an Vertuschungen und wer verdiente an den „Verschickungen“? Wer waren die Menschen, die kleine Kinder zum Teil sadistisch quälten, wie wurden sie sozialisiert, welche Vergangenheit hatten sie?
Im ersten Teil ihres Buches stellt die Autorin exakt die Geschichte der Kindererholung in acht Kurorten dar, beschreibt die Einrichtungen und fügt dann persönliche Erinnerungen aus den Schreiben und Interviews ehemaliger Verschickungskinder an. Diese Zeitzeugnisse gehören für mich zu den berührendsten Passagen des Buches. Wie konnte es zu so einem Klima von Angst und Gewalt kommen? Anja Röhl arbeitet im weiteren Verlauf des Buches die Ursachenstränge :biografische Prägung in der Kindheit, in der NS – Schwesternschaft und im Pflegeberuf, die strafende Pädagogik, die „Totale Institution“ nach Goffmann, NS – Geschichte in der Kinderheilkunde, balneologische Klimaheilkunde, medizinische Forschungen (vgl. auch Wagner, Sylvia : Arzneimittelversuche an Heimkindern zwischen 1949 und 1975, Mabuse – Verlag GmbH, Frankfurt am Main 2020, in: heilpaedagogik.de 1/2021 online), Ökonomie / Rendite und Sadismus heraus.
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