12.01.2020
Rezension - Dissoziale Kinder und Jugendliche - unverstanden und unverstehbar ? Frühe Beiträge der Psychoanalytischen Pädagogik und ihre aktuelle Bedeutung







Fickler-Stang, Ulrike : Dissoziale Kinder und Jugendliche – unverstanden und unverstehbar ? Frühe Beiträge der Psychoanalytischen Pädagogik und ihre aktuelle Bedeutung, Psychosozial – Verlag, Gießen 2019


Der Film „Systemsprenger“ in der Regie von Nora Fingscheidt machte breite Kreise der Öffentlichkeit auf das Thema des förderlichen, angemessenen oder, wenn man so will, „richtigen“ Umgangs mit emotional – sozial hoch belasteten Kindern und Jugendlichen aufmerksam.

Der vorliegende von Ahrbeck, Datler und Finger-Trescher herausgegebene Band 50 der Reihe Psychoanalytische Pädagogik wurde von der Autorin als Dissertation an der Humboldt – Universität zu Berlin unter dem Titel „Frühe Beiträge der Psychoanalytischen Pädagogik zur Arbeit mit dissozialen und delinquenten Kindern und Jugendlichen. Historisch – verklärende Rettungsromantik oder zukunftsweisende Ansätze ?“eingereicht.

Ulrike Fickler-Stangs Intention bestand darin, die Werke der frühen psychoanalytischen Pädagogen August Aichhorn, Siegfried Bernfeld und Fritz Redl „neu zu entdecken, neu zu lesen und neu zu nutzen“ (Fickler-Stang, S. 72)

Damit leistet die Autorin einen sehr wichtigen Beitrag, um einerseits stark belasteten jungen Menschen ein pädagogisches Angebot zu unterbreiten und andererseits professionell Tätigen einen Verstehenszugang zu der komplexen Thematik dieser Kinder und Jugendlichen zu eröffnen.
Da der Leidensdruck meist auf beiden Seiten groß ist, ist man bei der Entwicklung von Konzepten gut beraten, sich auf die Erkenntnisse der psychoanalytischen Pädagogik zu beziehen.

 

Nach einer ausführlichen Einleitung gibt die Autorin einen fundierten historischen Überblick über die Entwicklung des Verhältnisses von Psychoanalyse und Pädagogik als Versuch einer Standortbestimmung. Die Abschnitte zu den vier Psychologien der Psychoanalyse als Referenz- und Ordnungsschema ermöglichen auch dem nicht psychoanalytisch ausgebildeten Leser/ der Leserin das weitere Verstehen des Textes.
Ausführlich werden die Biografien und Konzepte von Aichhorn, Bernfeld und Redl sowie deren Rezeption im Zusammenhang mit ihrem Auftrag an die Pädagogik vorgestellt.

 


Diese Beiträge – auch zu den Erziehungsversuchen in der Fürsorgeeinrichtung Oberhollabrunn, dem Kinderheim Baumgarten und dem Pioneer House in der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts sind angesichts der großen Herausforderungen an die Erziehung belasteter Kinder und Jugendlicher in ihrer Bedeutung keinesfalls zu unterschätzen.
Im anschließenden Text werden alle drei Konzepte systematisch und ausführlich unter dem Blick der Triebtheorie, der Ich – Psychologie, der Objektbeziehungstheorie und der Selbstpsychologie betrachtet.

Aktuelle Standpunkte der Fachdisziplinen – angesiedelt zwischen Kinder- und Jugendpsychiatrie, Kriminologie, Psychologie und Pädagogik – werden von der Autorin abschließend referiert. Weiterführende Fragen werden aufgeworfen.
Aichhorn, Bernfeld und Redl ging es zu ihrer Zeit darum, die Psychoanalyse in den Dienst der Pädagogik zu stellen und damit aus ihrem klassischen Setting auf pädagogische Prozesse – auch und gerade in Gruppen – zu übertragen.
Wer bereit ist, sich vertieft mit gestörten und darum störenden Kindern und Jugendlichen zu befassen, wird dieses Buch mit großem Gewinn lesen.

 

Sybille Lenk